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DISPUT

Durch die Decke

Die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen steigen immer schneller. Das belegt die Auswertung einer Studie für die Jahre 2013 bis 2018

Von Caren Lay

Die Studie »Bestandsmietenanalyse 2013 bis 2018« macht das Ausmaß der sich in der Regierungsperiode der Großen Koalition noch zuspitzenden Wohnungskrise deutlich. Sie untersucht die steigenden Bestandsmieten, die in der Debatte um Mietpreisregulierungen der Bundesregierung vollkommen vernachlässigt werden. Die Mietpreisbremse zielt auf die Abschwächung extremer Mietsteigerungen bei Neuvermietungen. Doch nicht nur hat die Mietpreisbremse nahezu keine Auswirkungen auf die explodierten Angebotsmieten. Die weiter steigenden Angebotsmieten schlagen auch auf die bestehenden Mietverhältnisse durch. Seit Einführung der Mietpreisbremse steigen die Mieten dreimal schneller als zuvor. Das belegt die Studie der Bestandsmietenentwicklung in 305 Städten im Zeitraum von 2013 bis 2018 des Stadtsoziologen Andrej Holm.

Kein dämpfender Effekt

Die von der Faktion DIE LINKE. im Bundestag herausgegebene Studie zeigt, dass Haushalte an der Armutsgrenze sich in keiner der 20 größten deutschen Städte Wohnraum zu durchschnittlichen Mieten leisten können. Für Geringverdienende, und mehr und mehr auch für Durchschnittsverdienende, ist die Mietentwicklung existenzbedrohend. In Städten mit besonders angespannten Wohnungsmärkten reichen nicht einmal die Durchschnittseinkommen für eine leistbare Wohnversorgung. Der Neubau in seiner heutigen Form löst das Problem nicht, denn er treibt die Mieten noch zusätzlich nach oben.

Der rasante Anstieg bei den Neuvertragsmieten schlägt inzwischen auf die Altmietverträge. In den 20 Städten mit den am schnellsten steigenden Mieten sind die Preise fast doppelt so schnell gestiegen wie die Einkommen. Der Vorschlag der ehemaligen Bundesjustizministerin Katarina­ Barley, nicht mehr nur die letzten vier, sondern zukünftig sechs Jahre in die Berechnung des Mietspiegels mit einzubeziehen, wird nicht ausreichen. Wir brauchen einen bundesweiten Mietenstopp für die nächsten fünf Jahre, wie ihn Berlin gerade einführen will. Durch ein öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild sollten darüber hinaus Wohnungen mit dauerhaft bezahlbaren Mieten deutlich unter Marktniveau geschaffen werden.

Doch derzeit geht die Reise in falsche Richtung, wie die Studie zeigt:

  1. Die Bestandsmieten sind 2018 fast dreimal so hoch gestiegen wie im Jahr 2013.
  2. Die Mietpreise werden am stärksten getrieben von steigenden Angebotsmieten und Mietspiegeln, nicht von der Zuwanderung in die Städte.
  3. Gering- und Durchschnittsverdienende können sich in vielen Städten ihre Miete nicht mehr leisten.
  4. Neubauwohnungen leisten kaum einen Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung.

Die Einführung der so genannten Mietpreisbremse im Jahr 2015 hatte keinen dämpfenden Effekt auf die Mietentwicklung in den untersuchten Städten. Im Gegenteil: Während die Bestandsmieten im bundesweiten Durchschnitt von 2013 bis 2014 um 1,1 Prozent gestiegen sind, lag die Steigerung von 2017 bis 2018 schon bei 3 Prozent. Dabei geht die Schere zwischen den teuersten und den günstigsten Städten immer weiter auseinander. Eine Zweizimmerwohnung mit 65 Quadratmetern in München kostete im Jahr 2018 durchschnittlich 10,25 Euro nettokalt und lag damit 83 Prozent höher als in der günstigsten Stadt Warstein in Nordrhein-Westfalen.

Während im bundesweiten Durchschnitt die Einkommensentwicklung noch mit den steigenden Mieten mithält, haben sich in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten die Wohnkosten von den Einkommen entkoppelt. In den 20 Städten mit der größten Mietpreisdynamik sind die Mieten mit 22 Prozent fast doppelt so schnell gestiegen wie die Einkommen, die im Bundesdurchschnitt um 13,4 Prozent höher lagen als fünf Jahre zuvor.

Ein Drittel der untersuchten Städte weisen überdurchschnittlich steigende Mieten auf. In 20 Städten wurden die Mieten im Bestand sogar um durchschnittlich 20 oder mehr Prozent erhöht. Darunter fallen Berlin und Stuttgart, die laut Studie alle Anzeichen eines entfesselten Wohnungsmarktes aufweisen. Auch Großstädte wie Darmstadt, Nürnberg oder Regensburg sind betroffen. Jede dritte betroffene Stadt mit besonders schnell steigenden Mieten liegt in Nordrhein-Westfalen. In Paderborn haben die Bestandsmieten in fünf Jahren sogar um ein Drittel zugelegt. Die Studie zeigt außerdem, dass Metropolen wie Berlin, Stuttgart, Hamburg oder München ihre Wohnungsnot in umliegende Städte exportieren. Eberswalde bei Berlin, Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart und Landshut in der Nähe von München gehören inzwischen ebenfalls zu den Städten mit den am schnellsten steigenden Mieten.

Die Mietpreise werden am stärksten getrieben von steigenden Angebotsmieten und Mietspiegeln, nicht von Zuwanderung in die Städte. Der Zuzug in die Städte ist nicht der entscheidende Grund für die Mietentwicklung. Die Studie konnte hier nur einen geringen Zusammenhang nachweisen. Zwar sind die höchsten Mietsteigerungen in den am schnellsten wachsenden Städten zu verzeichnen. Allerdings stiegen die Mieten in schrumpfenden Städten schneller als in Städten mit geringem Bevölkerungswachstum. Das zeigt, die Mietentwicklung ist kein einfaches Ergebnis von Wohnungsangebot und -nachfrage. Der entscheidende Faktor ist vielmehr die Lücke zwischen Mietpreisen in bestehenden Verträgen und den Preisen, die bei Neu- oder Wiedervermietung erzielt werden können. Im Durchschnitt lagen die Neuvertragsmieten 1,25 Euro/m² über den Bestandsmieten und waren fast 20 Prozent teurer. In Städten wie Berlin und Frankfurt am Main lagen die Angebotsmieten mit über 2 Euro/m² über den durchschnittlichen Bestandsmieten – in München sogar über 5 Euro/m² darüber. Die teureren Neuvermietungen wirken über die Mietspiegel erhöhend auf den Bestand und bieten zusätzlich einen Anreiz, die Mieteinnahmen über neue Vertragsabschlüsse zu erhöhen.

Gering- und Durchschnittsverdienende können sich in vielen Städten ihre Miete nicht mehr leisten. Haushalte mit geringen Einkommen sind in der Mehrzahl der Städte auf Wohnungen unterhalb der Marktmieten angewiesen. In Städten mit besonders angespannten Wohnungsmärkten reichen nicht einmal die Durchschnittseinkommen für eine leistbare Wohnversorgung aus, also für Mieten, die mit nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens bezahlbar sind, aus. Die Versorgungslage für Alleinerziehende ist durch die geringeren Einkommen noch deutlich prekärer.

Die vertiefende Untersuchung für 22 Städte (die 16 Landeshauptstädte sowie die größten Städte in der BRD) zeigt: Haushalte an der Armutsgrenze können sich in keiner der Städte Wohnraum zu durchschnittlichen Bestands- und Angebotsmieten leisten. In nur neun der untersuchten 22 Städte sind die durchschnittlichen Bestandsmieten noch für Geringverdienende mit 80 Prozent des Bundes-Medianeinkommens leistbar. In Stuttgart und München reichen selbst durchschnittliche Einkommen nicht aus, um sich dort Wohnungen zu durchschnittlichen Bestandsmieten leisten zu können. Steigende Mietpreise werden so zu einem zusätzlichen Armutsrisiko, weil die hohe und wachsende Mietbelastungsquote für Gering- und Durchschnittsverdienende die bestehende Einkommensungleichheit noch zusätzlich verschärft.

Neubauwohnungen leisten kaum einen Beitrag zur sozialen Wohnraumversorgung. Teure Neubauwohnungen treiben die Preise extrem an, anstatt sie zu senken. In allen untersuchten Städten weisen Neubauwohnungen die höchsten Mieten auf. Die Mieten in den seit 2015 neu gebauten Wohnungen sind im Durchschnitt um 43 Prozent teurer als die in den günstigsten Beständen, die in der Regel aus den 1920er Jahren stammen. Damit zeigt sich, dass der Neubau ohne staatliche Förderung und entsprechende Mietpreis- und Belegungsbindungen für Menschen mit geringen oder durchschnittlichen Einkommen kaum Entlastung bietet. Neubau mit hohen Mietpreisen kurbelt die Preisspirale also an, anstatt sie zu senken. 

Caren Lay ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und mietenpolitische Sprecherin

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